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Wie die "Entwurzelten" wieder Boden unter den Füßen bekamen

Opfer des Krieges aus 22 Nationen bauten eine Modell-Siedlung auf (Korrespondentenbericht)

Von Barbara Link

Menschen aus 22 verschiedenen Nationen friedlich Tür an Tür: Den Bewohnern einer ehemaligen "Ausländersiedlung" am nördlichen Stadtrand von München ist eine erstaunliche Integration geglückt. Die Mehrheit von ihnen war praktisch heimatlos, als sie ab 1952 im Gebäude eines früheren Außenlagers des KZ-Dachau in München-Ludwigsfeld einzogen. Ukrainer, Polen, Russen, Letten, Armenier, buddhistische Kalmüken, Sudetendeutsche und viele Völkerschaften mehr hatte der Krieg nach Bayern verschlagen. Man nannte sie "displaced persons" (frei übersetzt: entwurzelte Personen), und das waren sie: Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, Emigranten, von denen die Mehrheit nicht in ihre inzwischen kommunistisch regierten Heimatländer zurückkehren konnten und wollten.

"Wohin sollten wir zurück - von einem Teufel zum nächsten?", sagte die Ukrainerin Katharina Poletko, als die Regisseurin Hilde Bechert vor einigen Jahren einen Film über die ungewöhnliche Multi-Kulti-Nachbarschaft drehte. "Meine Heimat ist hier" wird aus Anlass des 60-jährigen Gedenkens an Kriegsende und Neubeginn am Samstag, 23. April, ab 12.25 Uhr im Bayerischen Fernsehen wiederholt. Auf Hilde Bechert haben vor allem die jungen Leute einen großen Eindruck gemacht. "Sie sind von einer natürlichen Toleranz, geprägt von dem Ort, an dem sie leben." Einmal im Jahr, zum Siedlungsfest, kommt die Regisseurin nach Ludwigsfeld zurück, so auch in diesem Jahr. "Dann kommen die jetzigen und die ehemaligen Bewohner und ihre Verwandtschaften zusammen, auch von weither, aus den USA und Australien."

Der Armenier Olliver Krmadjian, der schon viele Berufe in seinem Leben hatte und sich in der "Kulturgemeinschaft Ludwigsfeld" engagiert, sagt: "Durch die Kinder hat die Integration beispielhaft funktioniert." Wer mit ihm durch die Straßen zwischen den Wohnblöcken geht, kommt kaum zum Reden, weil nach allen Seiten gegrüßt werden muss. Hier kennt jeder jeden. "Woanders kommt es mir so kalt vor", sagt einer der jungen Leute in Hilde Becherts Film. "Die Jungen ziehen dort zwar auch bei den Eltern aus, aber nur eine Straße weiter - das ist doch sehr untypisch", weiß die Regisseurin.

Die Einwohner der Siedlung wussten zu Anfang nicht genau, an welchem Ort sie gelandet waren. "Ende der siebziger Jahre kam das mit dem Außenlager raus", erzählt Krmadjian. "Da ist viel unter den Teppich gekehrt worden." 22.000 Menschen waren hier gegen Ende des Krieges inhaftiert. Eine Gedenktafel an der letzten noch bestehenden Baracke, der ehemaligen Lagerküche, erinnert an die Häftlinge. Heute dient ein Teil als Vereinsheim für die Fußballer.

Ein älteres Ehepaar rief vor kurzem die Vergangenheit in Ludwigsfeld wieder wach. Aus der Nähe von Bonn waren sie angereist. Der Mann suchte nach Spuren seines Bruders und in der Dachauer Häftlingsliste stieß er auf dessen letztes Lebenszeichen. Fast auf den Tag genau vor 60 Jahren, am 12. April 1945, war die Ankunft des Bruders und seine Verlegung ins Außenlager registriert worden. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt.

Umso wichtiger ist, dass die Bewohner der Ludwigsfelder Siedlungen jener Menschen, die vor ihnen an diesem Ort gelitten haben, gedenken. Mit einem Schweigemarsch am 30. April und der Ausstellung "60 Jahre Befreiung des KZ-Außenlagers Allach II und die Auswirkungen auf die Siedlung Ludwigsfeld und ihre Nachbarschaft" wird der Befreiung des Lagers gedacht. Der Schweigemarsch mit ökumenischer Begleitung beginnt um 19. 30 Uhr an der St. Nepomuk Kirche in der Kristallstraße 10. Die Ausstellung wird am Freitag, 29. April 2005, um 17 Uhr im Caritas-Jugendheim "Jump In", Kristallstraße 8a, eröffnet.

(Artikel vom 26.04.2005)

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